Schon seit vergangener Woche melden unterschiedliche, mehr oder weniger seriöse ukrainische Medien, dass die russische Armee an dem seit Monaten besonders umkämpften Frontabschnitt bei der Stadt Prokrowsk vorrücken, hier Links zu zwei entsprechenden Artikeln (ukrainisch), die beschreiben, wie scheußlich die Lage der Infanteristen an diesem Frontabschnitt ist:
Mit etwas zeitlichem Abstand hat der Oberkommandierende den Bericht der Ukrainska Pravda bestätigt und die Kommandeure vor Ort gerügt. Das Verschweigen von schlechten Nachrichten werde nicht geduldet:
Gestern Abend hat der ukrainische Präsident Selenskyi in seiner abendlichen Videoansprache die Probleme bestätigt. Heute Nachmittag hat sich die Lage verbessert, der Vorstoss der russischen Armee wurde in diesem Frontabschnitt zurückgedrängt:
Warum schreibe ich heute so ausführlich über Entwicklungen an der ukrainisch-russischen Front? Dass bei Prokrowsk heftig gekämpft wird, ist alles andere als neu. Die vom ukrainischen Generalstab berichteten Verluste (Tote und kampfunfähig Verwundete) der russischen Armee in der Größenordnung von Tausend Soldaten pro Tag passieren unter anderem an diesem Frontabschnitt mit vielen Vorstößen.
Neu ist, dass die ukrainische Armee in den letzten Wochen jeden Tag stärker unter Druck gerät, und dass sehr offen darüber in den ukrainischen Medien berichtet wird. Offensichtlich ein sehr offenes Geheimnis. Und da überrascht es mich immer wieder, wie selbstverständlich z.B. Nachrichten im deutschen Fernsehen davon ausgehen, dass die ukrainische Regierung diesen Krieg, unter anderem an diesem Frontabschnitt in dieser Intensität, noch wochen-, monate- oder sogar jahrelang fortsetzen kann. Ohne personelle Verstärkung kann sie nicht.
Das ist keine wehrkraftzersetzende Vermutung einer bösen Pazifistin, das lese ich in ukrainischen Medien. Da wird über zunehmen häufiges unerlaubtes Verlassen der Einheit und Desertion in der Größenordnung von 300.000 Fällen in diesem Jahr (im Vergleich zu einigen Tausend in 2022 und 2023 und einigen Zehntausend in 2024) berichtet (Kyiv Post). Da fordert der “Diener des Volkes”-Abgeordnete Russland Gorbenko unter anderem viel mehr Sold, damit mehr Infanteristen angeworben werden können und die entsprechenden Brigaden, die derzeit nur auf 10 bis 20 % ihrer Soll-Stärke sind ausgefüllt werden können (Telegraf). Er freut sich, dass dafür bis Ende 2025 die westlichen Partner 6 Milliarden Euro geliefert hat, und auf mehr für 2026.
Selbst mit viel mehr Geld aus EU- oder EU-Mitgliedstaaten-Budgets* wird es für die ukrainische Regierung schwer sein, in der Ukraine genug Infanteristen für die Fortsetzung des Krieges zu rekrutieren.
*Nein, eingefrorene russische Vermögenswerte können im EU-Rechtssystem und entsprechend der deutschen freiheitlich-demokratischen Grundordnung nicht einfach deshalb enteignet werden, weil Politiker:innen sich nicht trauen ihre Wähler:innen zu fragen, wieviel ihnen eine freie Ukraine Wert ist und welche Steuern (Mehrwert oder Vermögen?) für die Finanzierung des Krieges erhöht werden dürfen