Hoffen und Bangen

Manche Entwicklungen im russisch-ukrainischen Krieg werden auch in unseren öffentlich-rechtlichen Medien berichtet, in den letzten Tagen z.B. der russische Drohnenschwarm über Polen und russische Kampfjets im estnischen Luftraum.

Das eine oder andere markige Politiker-Zitat unter dem Motto “Jetzt müssen wir konsequent den Anfängen wehren und Stärke zeigen” wird auch wiedergegeben, die beschleunigte Herstellung der bereits vorfinanzierten Kriegstüchtigkeit wird angemahnt. Die Vorfälle werden von den Fachleuten erst genommen, sind aber ein Thema unter vielen.

Ganz anders die Berichterstattung in den ukrainischen Medien, die sich sowohl im Umfang als auch in der Emotionalität auf einer anderen Ebene bewegen.

Die Überzeugung, dass die russische Führung einen Krieg mit dem Westen und seinen Werten führt, nicht nur die Ukraine unterwerfen will, sondern ganz Europa, wird in den ukrainischen Medien immer wieder wiederholt. Natürlich mit der Erwartung, dass der Westen (endlich) den Ernst der Lage erkennt und vernichtend zurück schlägt.

Vor diesem Hintergrund wird jeder Zwischenfall mit Artikel 4- (Nato-Beratung) oder gar Artikel 5-Potenzial (Nato-Beistandsverpflichtung) ausführlich berichtet und emotional kommentiert.

Je aggressiver das Statement aus einem Nato-Land oder von EU-Politiker:innen, desto freudiger und umfassender die Berichterstattung.

Die Hoffnung, dass auch ohne Nato-Mitgliedschaft der Ukraine ein offizieller Kriegseintritt der Nato stattfinden könnte, keimt offensichtlich immer wieder auf.

Was mich immer wieder fasziniert und irritiert, wenn ich morgens und mittags ukrainische Medien gelesen habe und dann abends öffentlich-rechtliche Nachrichten schaue, ist der Unterschied zwischen dem ukrainischen “Jetzt müssen sie es aber merken, im Westen, jetzt ist es doch offensichtlich, jetzt müssen sie handeln” und unserem “Da war schon wieder was mit den Russen”.

Als Pazifistin freue ich mich einerseits über diese laue Reaktion, viel besser als noch mehr Kriegstreiber:innen. Anderseits ist Pazifismus gerade nicht Passivität, besteht vor allem in gewaltfreiem Einsatz und ziviler Solidarität, setzt Hinschauen statt Wegschauen voraus.

Hinschauen kann zum Bespiel bedeuten, nachzulesen, wer gestern wie in der Sondersitzung des UN-Sicherheitsrats zur Verletzung des estnischen Luftraums wie argumentiert hat. Wenn der politische Vertreter dort dem russischen Vertreter mitteilt, dass die Piloten der polnischen Luftwaffe die Erlaubnis haben, die nächste Drohne oder den nächsten russischen Kampfjet abzuschießen, ist das schon sehr nah an Artikel 5. Und wenn der russische Vertreter meint, dieses absurde Theater mache er nicht mit, ist das auch kein gutes Zeichen.

Bei der russischen TASS habe ich dazu heute wenig gefunden, stattdessen diese Perle: Präsidenten-Berater Peskov orakelt über START-Verhandlungen mit den USA, die schon irgendwie demnächst stattfinden werden, damit Rüstungskontrolle weiter stattfindet. Sprich: Mit den USA unter Trump will sich die russische Regierung arrangieren. Europa wird noch geklärt.


Posted

in

by