Denglisch, Franglais, Surzhik

Ich lerne seit kurz nach Kriegsbeginn fleißig ukrainisch und erweitere mein rudimentäres Schul-Russisch, zusätzlich zu meinen anderen vier Sprachen (siehe FRITENDERUUK) und neige beim Thema Sprache nicht zu identitären Wallungen:

Wenn ich noch eine Sprache brauche, aus welchen Gründen auch immer (erzwungene oder erstrebte Migration, Kriegsparteien verstehen, Solidarität mit Unterdrückten), dann lerne ich diese Sprache. Ist anstrengend und kostet Zeit, aber wenn das wichtig ist, dann geht was. Für die meisten Lebensbereiche und sehr viele Arbeitsfelder genügt einfache Sprache, und die ist erlernbar.

Sprich: Wenn russophone Ukrainer:innen (oder Litauer:innen, Lett:innen oder Est:innen) sich beschweren, dass sie die heutzutage mehrheitlich an ihrem Wohnort als Amtssprache gewünschte Sprache lernen sollen, weise ich erst mal darauf hin, dass das möglich ist, und nicht so schlimm. Erst danach kommt der Hinweis, dass es auch all diesen ex-sowjetischen Ländern bzw. ihren Regierungen nicht so schwer fallen sollte, mit Minderheitensprachen entspannt umzugehen. Vordrucke auch auch russisch anzubieten, und eine russophone Sprechstunden einzurichten, ist keine Verharmlosung historischer Ungerechtigkeiten bis Verbrechen, sondern die moderne europäische Art, mit der sprachlichen Vielfalt der Einwohner:innenschaft eines Landes umzugehen.

In der Ukraine ist Sprache, ist Ukrainisch besonders wichtig, zumindest im offiziellen und medialen Diskurs. Journalist:innen müssen ihre Arbeitssprache besonders gut können, sind an der Stelle vielleicht sensibler als Altenpfleger:in oder der Bautischler:in.

Und also bin ich in mehreren ukrainischen Medien über das Thema Суржик (gesprochen Surzhik) gestolpert:

Wörtlich ist Surzhik eine Mischung aus verschiedenen Getreidesorten. Im übertragenen Sinn wird so eine Alltagssprache genannt, die sich nicht an den literarischen Sprachgebrauch hält, sondern Bestandteile aus mehreren Sprachen, insbesondere ukrainisch mit russisch, kombiniert.

Ich denke bei dem Thema: “Super, etliche russophone Ukrainer:innen machen sich die Mühe, ukrainisch zu lernen und, zumindest in bestimmten Situationen, auch so gut es schon geht zu sprechen. Tolle Anerkennung der Bedeutung, die die ukrainophonen Ukrainer:innen der Sprache beimessen.” Denkste.

In der einschlägigen Berichterstattung wird Surzhik nicht etwa gefeiert, sondern es überwiegt Besorgnis und die Suche nach Lösungen für ein Phänomen, das als Problem statt als Fortschritt gesehen wird. Da geht es dann darum, wie besser verhindert werden kann, dass die Sprache verhunzt wird. Nur bestrafen, oder auch Anreize und Lernorte anbieten? Die Sprachbehörde ist immerhin unter neuer Leitung auch für Letzteres, vom wöchentlichen Radiodiktat bis zu vielerlei Kursen bietet sie viele Möglichkeiten, Ukrainisch zu lernen und zu üben.

Ich muss bei Berichten über Surzhik immer schmunzeln: Die Académie française hat den entsprechenden Kampf ebenso aufgegeben wie die Dudenreaktion. Natürlich geht es bei Denglisch und Franglais nicht um Russisch, dass sich in der deutschen bzw. französischen Alltagssprache einnistet, sondern um Englisch. Aber beide Institutionen mussten im Lauf der Jahrzehnte einsehen, dass es im Zeitalter der Globalisierung unmöglich ist, Leute davon anzuhalten, Wörter wie “streamen” und “chatten” zu verwenden.

Die entsprechenden Anglismen gibt es übrigens auch auch Russisch und Ukrainisch. Ich bin am Anfang immer wieder über solche Wörter gestolpert, denn sie werden in beiden Sprachen natürlich im jeweiligen kyrillischen Alphabet geschrieben, und so, wie sie ausgesprochen werden. Für eine Leserin, die sich mit dem lateinischen Alphabet leichter tut und die Begriffe in ihrer englischen Schreibweise erwartet, eine Umstellung.

Bin gespannt, wie sich der Surzhik in Zukunft entwickelt: Wenn die Ukraine wirklich im Eiltempo in die EU aufgenommen wird, kommt noch mehr Englisch auf ganz viele Firmen und etliche Behörde zu, noch mehr Beschäftige werden abwechselnd kyrillisch und lateinische schreiben.

Werden dann die Anglismen in der Originalschreibweise Eingang in die Arbeitssprache finden, oder weiterhin kyrillisch geschrieben? Der Sprachbehörde geht die Arbeit nicht aus.

Und wenn dann irgendwann der Euro kommt, muss das Kleingeld noch mal umbenannt werden:

Aktuell berichtet die Ukrainische Pravda über ein Gesetzesvorlagen, dass aus der Kopeke einen “Schag” bzw. “Weg” machen soll. Kopeke ist den Antragsteller:innen zu sowjetisch, deshalb soll der Begriff aus der Zeit des Hetmanats und der ukrainischen Revolution reaktiviert werden.

Sorgen haben die Leut… Nein, nicht die Leut, nicht alle Leut. Die meisten haben beim Thema Geld andere Sorgen als die Bezeichnung, da geht es mehr um die Menge. Aber Journalist:innen, Jurist:innen und Abgeordnete, die oft aus sprachbetonten Berufen kommen, sind nicht nur bei dem Thema etwas eigen.


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