In der Ukraine in der Öffentlichkeit russisch zu sprechen oder russische Musik zu hören oder Plakate mit russischem Text genügen, um militante Verteidiger:innen der ukrainischen Sprache zu aktivieren.
Einerseits ist die Ablehnung der russischen Sprache unter den Bedingungen des nachträglichen Unabhängigkeitskrieges verständlich. Andererseits ist sie ein Problem für diejenigen Ukrainer:innen, die nun mal unter anderem auf russisch aufgewachsen sind, deren Väter und/oder Mütter und Großväter und/oder Großmütter zuhause russisch sprechen.
Schon mal versucht, in der Familie oder im Freundeskreis auf eine andere Sprache umzuschalten? Auch wer diese andere Sprache perfekt spricht, muss wirklich motiviert sein und sich anstrengen, um das durchzuziehen.
Wer es selbst nie probieren musste oder mangels Mehrsprachigkeit gar nicht probieren kann, fragt am bestehen ein Einwanderer:innen (erste Generation) im Freund:innenkreis, wie sie ihre Kinder (zweite Generation) erziehen oder erzogen haben, welche Sprache daheim gesprochen wird. Die Antworten sind ganz unterschiedlich, das Thema kennen alle. Und welche Sprache wir daheim reden, wollen wir selbst entscheiden.
Da die Ukraine so schnell wie möglich in die EU will, hatte ich die naive Hoffnung, dass ihr das nebenbei auch Minderheitenschutz in der Sprachenfrage, im Umgang mit der russophone Minderheit bescheren wird.
Denkste! Im ukrainischen Parlament wurde prompt ausdrücklich beschlossen, dass russisch nicht zu den geschützten Minderheitensprache zählt.
Mitteilung der Sprachenombudsfrau (ukrainisch)
Mitteilung der zuständigen “Diener des Volkes” Abgeordneten (ukrainisch)
Hier die Europäische Charta der Minderheiten- und Regionalsprachen zum Nachlesen. Verdient russisch wirklich keinen Schutz entsprechend dieser Charta? Wir werden es erfahren, wenn der EU-Beitritt der Ukraine näher rückt.
Was ganz sicher ist: Leute lassen sich ihre gewohnte Sprache nicht so leicht nehmen und sich nicht in ihren häuslichen Alltag reinreden. Viele Erfahrungen sowohl der (ehemaligen) Kolonialmächte als auch von erfolgreichen Unabhängigkeitsbewegungen in mehrsprachigen Gegenden haben gezeigt, dass Zwang nicht funktioniert.