Kriegstreiber:innen an die Front

Gedacht habe ich das seit dem 24. Februar 2022 schon oft.

Es ist für mich immer wieder beeindruckend, mit welch mörderischen Tempo vormalige Kriegsdienstverweigerer meiner Generation ihre Begeisterung für das machtvoll Militärische entdeckt haben, und wie lauthals sie ihre neue Erkenntnis verkünden. Sie haben keinen Wehrdienst geleistet, kennen keine Armee von innen, haben das Handwerk des Tötens nicht gelernt. Aber andere schießen (und geschoßen werden) schicken, das können sie. Sie sind sich sehr sicher, nicht selbst Hand an die Haubitze legen zu müssen, in unserem Alter…

Wenn ich diese jeden Zentimeter der Ukraine zurückerobern lassen wollenden ehemaligen Zivis hören, denke ich “Kriegstreiber:innen an die Front”.

Laut ist mir das bisher nur im engsten privaten Kreis auf dem Sofa rausgerutscht, als notgedrungen virtueller Zwischenruf zu TV-Interviews der Außenministerin oder der Vorsitzenden des Verteidigungsausschusses des deutschen Bundestags, um nur zwei Wiederholungstäterinnen zu nennen.

Selbst keinen Wehrdienst geleistet geschweige denn jetzt an der Front. Keinen Vater und keine Mutter, keinen Ehemann und keine Ehefrau, keinen Sohn und keine Tochter, keine Bruder und keine Schwester an dieser Front, oder auf dem Heldenfriedhof, von dem in ukrainischen Medien in letzter Zeit häufiger die Rede ist. Aber so was von total dafür.

Da rutscht mir dann schon mal raus. “Dann geh’ halt schießen, wenn Du das so toll findest! Die haben eine Fremdenlegion und bilden aus.”

Bis jetzt habe ich das nur daheim im Kämmerlein rausgehauen.

In der Öffentlichkeit halte ich mich sehr zurück: Wir leben im relativen Paradies, im Vergleich zu den vom Krieg primär Betroffenen. Angesichts der vielen Toten und Verwundeten, Russ:innen und Ukrainer:innen, Zivilist:innen und Soldat:innen, an der Front und im Hinterland, verbieten sich vorlaute Kommentare von den wohlgepolsterten Rängen. Polemik kann Sachverhalte auf den Punkt bringen und so zum Fortschritt beitragen, sie kann aber auch brutal und unmenschlich sein, Aggressionen und Konflikte verschärfen.

Ich halte mich deshalb weiterhin zurück und formuliere so umsichtig wie möglich. Aber “Kriegstreiber:innen an die Front” sage ich seit gestern auch öffentlich.

Seit gestern ist diese Aufforderung beinahe ein Zitat.

Ukrinform berichtet über das AFP-Interview des ukrainischen Außenministers Dmytro Kuleba unter anderem:

Він жартома закликав критиків контрнаступу України «приєднатися до Іноземного легіону, щоб допомогти Україні».

Ukrinform 17. August 2023

Grob und überhaupt nicht professionell übersetzt steht da:

Im Scherz ermunterte er Krieger:innen der Gegenoffensive “sich der Fremdenlegion anzuschließen, damit sie der Ukraine helfen”.

Übersetzung JaM

Interessanterweise hat Ukrinform dieses Zitat für die Formulierung der Schlagzeile verwendet:

Кулеба закликав критиків контрнаступу України приєднатися до Іноземного легіону

Ukrinform 17. August 2023

Zu deutsch, Übersetzungsqualität siehe oben:

Kuleba forderte Kritiker:innen der ukrainischen Gegenoffensive auf, in die Fremdenlegion einzutreten

Übersetzung JaM

Hat dem Propagandaorgan aus der Seele gesprochen? Vielleicht.

Ganz anders die Vorgehensweise der französischen Presse, die über das AFP Interview auch berichtet.

FranceInfo konzentriert sich auf die F16-Frage, keine Fremdenlegion erwähnt.

Le Monde fokussiert seinen viel ausführlicheren Artikel auf das ukrainisch-afrikanische Verhältnis, unter besonderer Berücksichtigung der Getreidelieferungsproblematik. Aber gegen Ende kommt sie dann doch, die Passage, die ich in öffentlich Zukunft zitieren werde:

S’il a assuré ne pas ressentir de pression des alliés occidentaux de l’Ukraine pour qu’elle accélère sa contre-offensive, le ministre s’est toutefois dit « un peu irrité » par certains commentaires sur la lenteur de cette opération. « La bonne approche pour ceux qui veulent que ça soit rapide et brillant est de rejoindre la légion étrangère [ukrainienne] et de le faire rapidement et brillamment », a-t-il lâché.

Le Monde

Aus meiner Muttersprache unprofessionell in meine Zweitsprache übertragen:

Der Minister versicherte, keine Druck der westlichen Alliierten der Ukraine hinsichtlich einer Beschleunigung ihrer Gegenoffensive zu verspüren, zeigte sich allerdings “etwas irritiert” durch bestimmte Kommentare bezüglich der Langsamkeit der Operation. “Die richtige Vorgehensweise für diejenigen, die es schnell und brillant wollen, ist sich der [ukrainischen] Fremdenlegion anzuschließen und das schnell uns brillant zu tun” ist ihm rausgerutscht.

Übersetzung JaM

Kriegstreiber:innen an die Front.

Offene Grenzen für alle Kriegsdienstverweiger:innen und Desteur:innen.


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